Talentklau - sicher nicht!

«Gut Ding will Weile haben»

 

 

Lehrstellen sollen nicht vor dem 1. November besetzt werden. Das ist zwar keine gesetzliche Vorgabe, aber ein Gentleman Agreement unter den Ausbildungsbetrieben. Leider hält sich heute kaum noch jemand daran. Viele Unternehmer binden die besten Schülerinnen und Schüler bereits ein Jahr vor Lehrbeginn an ihren Betrieb. Die Folge davon sind Lehrabbrüche, weil der Lernende erst nach Lehrbeginn merkt, dass er den falschen Beruf gewählt hat. Häufig stimmt auch die Chemie zwischen Ausbildnern und Auszubildenden nicht. Schliesslich durchlaufen die Jugendlichen in den letzten Schuljahren einen rasanten Entwicklungsprozess. Da kann in einem Jahr ganz viel passieren. Fakt ist, dass sich viele Lehrabbrüche verhindern liessen. Nämlich indem man den Jugendlichen bei der Berufswahl Zeit lässt. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich eingehend zu informieren. Das geschieht zunächst im Berufswahlunterricht in der Schule, wo die eigenen Vorlieben, Stärken und Schwächen herausgefiltert werden, um in einem zweiten Schritt entsprechende Berufsbilder kennenzulernen. Wichtige Instrumente im Berufswahlprozess sind auch Informationsveranstaltungen zu einzelnen Berufen, das Berufsinformationszentrum (BIZ), das Internet und das Gespräch mit Angehörigen. Die Jugendlichen sollen dabei immer ihr eigenes Können mit dem Anforderungsprofil des in Frage kommenden Berufes vergleichen. Wenn der oder die Jugendliche dann ein klareres Bild von seinem Berufswunsch hat, geht es ans Schnuppern im Betrieb, wo der Berufswunsch schliesslich gefestigt oder eben widerlegt wird. Nur so lassen sich die richtigen Talente herausfinden und entsprechend fördern. Wichtig ist für die Jugendlichen auch, dass sie sich nicht auf einen Beruf fixieren. Sie sollen mindestens zwei zusätzliche Berufe als Alternative bestimmen. Die Rechnung ist einfach: Je mehr Berufe es in die engere Auswahl schaffen, desto mehr potenzielle Lehrbetriebe stehen zur Verfügung. Und der Weg zum Traumberuf kann - bei der Durchlässigkeit unseres Berufsbildungssystems - auch über einen Umweg erfolgen. Auch der Lehrbetrieb soll sich bei der Selektion seiner Lernenden Zeit lassen. Viele Betriebe machen den Fehler, dass sie hauptsächlich die Schulnoten berücksichtigen. Dabei spielen auch persönliche Neigungen und der Charakter eine wichtige Rolle. Schnuppertage sind deshalb unerlässlich, um herauszufinden, ob jemand ins Team passt.

 

 

Eine sorgfältige Selektion beider Seiten reicht aber noch nicht. Wenn wir leistungsstarke Jugendliche für die Berufsbildung gewinnen wollen, müssen wir noch weiter unten ansetzen. Am Ende der Primarschulzeit werden nämlich die Weichen dafür gestellt, ob jemand ans Gymi geht oder via Oberstufe später in die Berufsbildung eintritt. Und genau hier haben wir ein klares Informationsdefizit. Viele Eltern der Fünft- und Sechstklässler wissen gar nicht, dass der Weg über die Berufsbildung ihren Kindern alle Türen für die berufliche Weiterentwicklung und dadurch für den beruflichen Erfolg offen lässt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem die Berufsmaturität. Sie versorgt unsere Betriebe mit hoch qualifizierten Fachkräften und stärkt deren Position im internationalen Wettbewerb. Um jedoch den fortschreitenden Fachkräftemangel nachhaltig zu bekämpfen, benötigen wir mehr junge Menschen mit BM-Abschluss, vor allem im technischen Bereich. Wer eine Berufsmatura macht, der kann prüfungsfrei an eine Fachhochschule übertreten und von dort aus via einjährigen Passerellen-Kurs sogar an die Universität wechseln. Damit stehen ihm alle Wege offen, die er auch mit der gymnasialen Matura hätte. Mehr noch: Wer den Weg über die Berufsbildung wählt, der beschleunigt seinen Karriereweg. Er kann schneller ins Erwerbsleben eintreten und verdient schneller viel Geld, wenn er gut arbeitet. Er verdient auch schneller sein eigenes Geld. Das wissen Bäcker, Elektroinstallateure oder Informatiker, die sich bereits in jungen Jahren ihr eigenes Geschäft aufgebaut haben und darin erfolgreich sind. Uni und ETH bieten überhaupt nicht die besseren Karrierechancen. Bedenken Sie nur einmal, wie viele Juristen, Psychologen und Soziologen heute ausgebildet werden. Die können gar nicht alle eine Arbeit finden, die ihrer Ausbildung entspricht. Vergessen wir es also nicht, die Eltern der Primarschüler über die vielen Vorzüge der Berufsbildung zu informieren. Bevor sie ihre Kinder, wie es leider noch oft geschieht, aus falsch verstandenen Prestigegründen ins Gymnasium schicken.

 

 

Felix Müri, Nationalrat SVP, Emmenbrücke LU