Der Bundesrat hat in der Vergangenheit auf Anfragen der SVP stets betont, das Schweizer Steuersystem und die kantonalen Steuerregimes stünden beim Steuerstreit mit der EU nicht zur Diskussion. Auf meine Frage erwiderte Bundesrat Merz am 9. Juni 2008 explizit, "dass die kantonalen Steuerregimes betreffend Holding-, Verwaltungs- und gemischte Gesellschaften als solche nicht zur Disposition stehen".
Ein halbes Jahr später, am 15. Dezember 2008, reisten nun drei (!) Bundesräte nach Brüssel, um der EU die geplante Steuerreform zu präsentieren. Dabei sollen die Steuerregeln für Verwaltungs- und Domizilregeln geändert werden, damit sie aus Sicht der EU den Wettbewerb weniger verzerren. Vor diesem Hintergrund ersuchen wir den Bundesrat um die Beantwortung folgender Fragen:
1. Was hat ihn bewogen, von seiner Position abzurücken?
2. Hat die EU den Druck auf die Schweiz in den letzten Monaten verstärkt? Wenn ja, wie?
3. Gibt es Anzeichen dafür, dass die EU die Steuerfrage mit anderen Dossiers verbinden möchte? Wenn ja, mit welchen?
4. Aus welchem Grund ist die Schweiz mit drei Bundesräten nach Brüssel gereist?
5. Warum hat diese Dreierdelegation in Brüssel nicht grösseren Widerstand geleistet und ein für alle Mal klargemacht, dass die Schweizer Steuerautonomie nicht verhandelbar ist?
6. Er liess verlauten, er wolle Briefkastenfirmen verbieten. Was versteht er unter Briefkastenfirmen, und welche Voraussetzungen müssen erfüllt werden, um nicht als solche zu gelten?
7. Anscheinend gehen die geplanten Reformen dem EU-Kommissionspräsidenten José Emanuel Barroso noch zu wenig weit. Ist daher zu erwarten, dass der Bundesrat der EU noch weitere Zugeständnisse macht?
8. Welche Forderungen stellt die EU konkret an die Schweiz?
9. Hat er bereits Szenarien entwickelt, wie man diese weiteren Forderungen der EU erfüllen könnte?
1. Der Bundesrat ist nicht von seiner Position abgerückt. Seit Beginn der Steuerkontroverse vertritt der Bundesrat eine unveränderte Haltung. Er hat von Anfang an Verhandlungen im Bereich der Unternehmensbesteuerung abgelehnt, sich jedoch für einen Dialog zur Klärung der gegenseitigen Standpunkte bereiterklärt. Im Rahmen dieses Dialoges wurde gegenüber der EU wiederholt festgehalten, dass die Schweiz keinerlei rechtliche Verpflichtungen habe, ihr Steuersystem an jene der EU-Mitgliedstaaten anzugleichen. Sie werde jedoch im Rahmen der Arbeiten einer weiteren Unternehmenssteuerreform gewisse Anliegen der EU einfliessen lassen. Dabei wurde aber betont, dass die kantonalen Steuerstatus als solche nicht zur Disposition stünden. Anlässlich des Besuches beim Präsidenten der EU-Kommission im Dezember 2008, in dessen Rahmen die Schweiz die EU über die geplante Unternehmenssteuerreform III (USTR III) informierte, hat der Bundesrat diese Haltung explizit wiederholt. Der Bundesrat betonte, dass es sich auch bei der aufgegleisten USTR III um eine autonome Reform handle.
2. Die Forderungen der EU sind seit Beginn der Steuerkontroverse dieselben. Sie erwartet, dass die Schweiz die kantonalen Steuerstatus, welche nach Auffassung der EU gegen das Freihandelsabkommen von 1972 verstossen sollen, aufhebt oder abändert, sodass die unterschiedliche Besteuerung von inländischen und ausländischen Einkünften beseitigt wird.
3. Die EU hat sich gegenüber der Schweiz bereits mehrmals dahingehend geäussert, dass sie Fortschritte beim Abschluss weiterer bilateraler Abkommen auch von der Entwicklung im Rahmen der Steuerkontroverse wird abhängig machen.
4. Anlässlich der Gespräche vom 15. Dezember 2008 in Brüssel wurde ein breites Spektrum bilateraler Themen im Verhältnis Schweiz-EU besprochen. So wurden neben Steuerfragen auch institutionelle Fragen der Vertragsentwicklung, der Beginn der operationellen Zusammenarbeit von Schengen/Dublin sowie die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise thematisiert. Der Bundespräsident wurde von den Vorstehern der zuständigen Departemente begleitet.
5. Wie bereits in der Antwort zu Frage 1 ausgeführt, hat der Bundesrat anlässlich des Besuches in Brüssel die EU über die geplante USTR III informiert und gleichzeitig wiederholt, dass die Schweiz gegenüber der EU keinerlei rechtliche Verpflichtungen habe, ihr Steuersystem an jene der EU-Mitgliedstaaten anzugleichen, und es sich bei der USTR III um eine autonome Reform handle.
6. Eine vom Bundesrat im Rahmen der Anpassungen bei den kantonalen Steuerstatus ins Auge gefasste Massnahme stellt die Abschaffung des Status der Domizilgesellschaft (Art. 28 Abs. 3 StHG) dar. Diese Gesellschaften, die zuweilen auch als "Briefkastenfirmen" bezeichnet werden, sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in der Schweiz eine Verwaltungs-, aber keine Geschäftstätigkeit ausüben. Der Bundesrat hat nicht die Absicht, solche Firmen zu "verbieten"; sie sollen jedoch nicht mehr vom Steuerstatus der Domizilgesellschaft profitieren können. Diese Massnahme steht im Einklang mit der Strategie des Bundesrates, wonach steuerlich attraktive Rahmenbedingungen gezielt auf Unternehmen fokussiert werden, die in der Schweiz Arbeitsplätze schaffen und Investitionen tätigen.
7. Die EU hat die von der Schweiz geplanten Anpassungen bei den Steuerstatus als einen "Schritt in die richtige Richtung" bezeichnet und mitgeteilt, sie werde die geplanten Massnahmen intern analysieren, um sie anschliessend mit der Schweiz eingehend zu diskutieren. Diese Gespräche werden im Rahmen des bisherigen Dialoges geführt. Die Schweiz wird weiterhin im Bereich der Unternehmensbesteuerung mit der EU keine Verhandlungen führen.
8./9. Die Forderungen der EU sind seit Beginn der Steuerkontroverse unverändert (vgl. Antwort zu Frage 2). Die Schweiz hat gewisse dieser Anliegen in die Überlegungen zur USTR III einfliessen lassen. Die Berücksichtigung internationaler Entwicklungen und Anliegen bei der autonomen Ausgestaltung des schweizerischen Steuersystems soll namentlich zur internationalen Akzeptanz dieses Systems beitragen. Diese Akzeptanz bildet eine Voraussetzung für einen attraktiven Unternehmensstandort. Diesen Standort weiter zu stärken ist ein Ziel der geplanten USTR III. Der Bundesrat erachtet die im Rahmen dieser Reform geplanten Anpassungen bei den kantonalen Steuerstatus als geeignete Massnahmen zur Zielerreichung.